Direkt zum Hauptbereich

Rechtswidrige Beschränkung des persönlichen Budgets eines Behinderten




 
Das SG Fulda hat entschieden, dass ein behinderter Mensch, der im Rahmen einer ambulanten 24-Stunden-Betreuung in häuslicher Umgebung versorgt wird, einen Anspruch auf Übernahme der Kosten in voller Höhe hat, wenn eine stationäre Versorgung im Einzelfall unzumutbar ist.
Der mittlerweile 28 Jahre alte Kläger erlitt aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 2012 ein massives Schädelhirntrauma. Wegen der bestehenden Behinderungen erhält er Leistungen der Pflegeversicherung gemäß Pflegegrad 5 (bis zum 31.12.2016 Pflegestufe III). Der festgestellte Grad der Behinderung beträgt 100, die Merkzeichen G, aG, H und RF sind zuerkannt. Er bewohnt eine Erdgeschosswohnung in einem kleinen Ort mit rund 500 Einwohnern, der zum Landkreis Fulda gehört. Seine Mutter lebt in einer Einliegerwohnung in demselben Haus. Im März 2014 stellte der Kläger beim beklagten Landkreis zum ersten Mal einen Antrag auf Leistungen in Form der Hilfe zur Pflege und von Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Eingliederungshilfe) als Persönliches Budget für eine ambulante 24-Stunden-Pflege in Höhe von über 13.000 Euro monatlich. Der Beklagte bewilligte in der Folgezeit Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe in Höhe von 4.800 Euro monatlich. Er begründete seine Entscheidung damit, dass eine Unterbringung in der rund 20 km entfernt gelegenen stationären Einrichtung unter Berücksichtigung der persönlichen, familiären und örtlichen Umständen grundsätzlich zumutbar und die ambulante Versorgung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Die stationäre Einrichtung stelle die Pflege, Betreuung und Therapie von Menschen mit schweren Hirnschädigungen sicher, und es würden gut ausgestattete Therapieräume zur Verfügung stehen. Der Landkreis sei verpflichtet, die aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Sozialhilfe sparsam zu verwenden. Außerdem gelte der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe.
Das SG Fulda hat festgestellt, dass die Entscheidung des beklagten Landkreises rechtswidrig war, und dem Kläger Recht gegeben.
Nach Auffassung des Sozialgerichts hatte der Kläger nach § 13 Abs. 1 SGB XII einen Anspruch auf ein Persönliches Budget für die ambulante 24-Stunden-Pflege in voller Höhe, weil die Versorgung in der stationären Einrichtung für ihn unzumutbar war. Zu berücksichtigen sei insbesondere die sehr intensive Beziehung des Klägers zu seiner Mutter. Ein Umzug hätte erhebliche negative Auswirkungen auf die psychische Stabilität des Klägers nach sich gezogen. Das familiäre Bedürfnis des Klägers bestehe gerade in der engen Beziehung zur Mutter und sei durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Gegen eine stationäre Versorgung spreche nicht zuletzt der Umstand, dass der Kläger im häuslichen Umfeld dauerhaft von vertrauten Personen betreut und versorgt würde, was im stationären Rahmen in der Intensität nicht möglich sei. Ohne ständige Anregungen und "Impulsgaben" würden die in den vergangenen Jahren mit Unterstützung der Mutter erworbenen Fähigkeiten zum Stillstand kommen oder sich gar zurückbilden.
Letztendlich sei es auch Aufgabe der Sozialhilfe, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und die Berechtigten so weit wie möglich zu befähigen, unabhängig von ihr zu leben. Dieses Ziel würde bei einer stationären Leistung nicht erreicht, da sich der gesamte pflegerische Zustand schon wegen der Personalsituation in der Einrichtung voraussichtlich verschlechtert hätte.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Gericht/Institution:SG Fulda
Erscheinungsdatum:09.05.2018
Entscheidungsdatum:07.03.2018
Aktenzeichen:S 7 SO 73/16
Quelle: juris - Pressemitteilung des SG Fulda Nr. 1/2018 v. 08.05.2018



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist