Der 5. Senat des Landessozialgerichts hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Baden-Württemberg im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, häusliche Krankenpflege für ein schwerstbehindertes Mädchen zu gewähren. Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache können die Eltern damit eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ihrer Tochter sicherstellen.
Das zweijährige Kind leidet an einer schweren Entwicklungsstörung und ist mehrfach geistig und körperlich behindert. Nach einer Operation mit erheblichen Komplikationen wenige Tage nach der Geburt musste das Mädchen vier Monate lang dauerhaft künstlich beatmet werden. Auch danach war noch häufig eine Beatmung erforderlich, insbesondere während der Nachtzeit für bis zu vier Stunden täglich. Die Sauerstoffgabe erfolgte über eine operative Öffnung der Luftröhre am Hals, ein sog. Tracheostoma. Durch diese Öffnung konnte auch Sekret abgesaugt werden, was anfangs noch häufig notwendig war
Zunächst hatte die AOK häusliche Krankenpflege im Umfang von 16 Stunden täglich, später für 13 Stunden am Tag gewährt. Die eingeschalteten Pflegedienste übernahmen bis zu drei Tagesdienste und vier Nachtwachen pro Woche. Während der übri-gen Zeit kümmerten sich die Eltern um ihrer Tochter. Nachdem die Öffnung der Luftröhre im Herbst 2014 operativ wieder geschlossen werden konnte, bewilligte die Krankenkasse häusliche Krankenpflege nur noch für täglich drei Stunden. Zuvor hatte ein von der AOK eingeschalteter Gutachter eine durchgehende Überwachung des Kindes nicht mehr für erforderlich gehalten. Die Atmungssituation habe sich zwischenzeitlich stabilisiert und das Kind könne nun auch selbständig Sekret abhusten, befand der Mediziner.
Gegen diese Entscheidung setzten sich die Eltern des Mädchens zur Wehr. Sie könnten ihre Tochter nach wie vor nicht aus den Augen lassen. Ihre Tochter drehe sich nachts häufig in die Rückenlage und erbreche sich. Wegen der Gefahr des Erstickens sei deshalb gerade zur Nachtzeit eine Überwachung zwingend notwendig. Nach der Entfernung des Tracheostomas sei die Situation eher schwieriger gewor-den, da Beatmen und Absaugen jetzt nicht mehr so einfach durchgeführt werden könnten.
Die Richter des 5. Senats gaben vorläufig den Eltern des Mädchens Recht. Um abschließend beurteilen zu können, ob und ggf. für welchen Zeitraum das Kind noch Leistungen der häuslichen Krankenpflege benötige, müssten umfangreiche medizinische Ermittlungen durchgeführt werden. Zunächst seien die behandelnden Ärzte des Kindes zu hören; anschließend müsse dann über die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens entschieden werden. Wegen der Eilbedürftigkeit des Falls könnten diese Ermittlungen aber nicht im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes erfolgen, sondern müssten dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Über den Eilantrag der Eltern des Mädchens sei deshalb im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hierbei müsse dem Interesse des Kindes der Vorrang eingeräumt werden, da dessen Leben bedroht sei, sollte sich die Einschätzung der Krankenkasse als falsch erweisen. Gegenüber diesem hohen Gut müsse das Interesse der Krankenkasse, einen Vermögensschaden durch möglicherweise zu Unrecht gewährte Leistungen zu vermeiden, zurückstehen.
In erster Instanz hatte noch die AOK obsiegt. Das Sozialgericht Konstanz hatte die Beurteilung des Gutachters der Krankenkasse für überzeugend gehalten und den Eilantrag der Eltern abgelehnt. Diese Entscheidung hob das Landessozialgericht auf und gab der Beschwerde der Eltern statt.
Beschluss des 5. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 14.04.2015
Az.: L 5 KR 605/15
Quelle: LSG Baden-Württemberg
Irgendwo habe ich darüber schon gelesen, aber hier habe ich gelernt, vieles mehr. Ich gratuliere dem Autor des Eintrags und Herzlich grüße ich!
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