SG Duisburg: keine Prozeßkostenhilfe für "Klage aus Prinzip" wegen Erhöhung des GdB - Sozialrechtsexperte sagt: Das ist Benachteiligung für schwerbehinderte Menschen !
Das SG Duisburg lehnte in seiner Entscheidung vom 23.02.2015 den Antrag auf Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Klage auf Erhöhung des GdB von 70 auf 80 ab: sie sei mutwillig, denn der Kläger habe keine rechtlichen Vorteile.
Vera Munz, Rechtsanwältin im Sozialrechtsexperten-Team
"Bei dem 1956
geborenen Antragsteller ist durch Bescheid vom 10.02.2011 seit
27.08.2010 ein GdB von 70 festgestellt. Ein Änderungsantrag vom
05.09.2011 war erfolglos geblieben. Zur Begründung seines am 11.02.2014
gestellten Änderungsantrages gab der Kläger an, seine Depressionen und
sein Hörvermögen hätten sich verschlechtert. Mit Bescheid vom 10.04.2014
und Widerspruchsbescheid vom 27.08.2014 lehnte die Antragsgegnerin die
Feststellung eines höheren GdB ab.
Mit seiner am
04.09.2014 erhobenen Klage begehrt der Antragsteller die Feststellung
eines GdB von mindestens 80 und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Auf Anfrage des Gerichts, welchen
Vorteil der Antragsteller von einem höheren GdB habe, hat er durch
seinen Bevollmächtigten mitteilen lassen, dass er, sollte es ihm
gelingen, wieder eine Arbeitsstelle zu finden, einen höheren
Pauschbetrag in Anspruch nehmen könne. Darüber hinaus könnten
Schwerbehinderte mit einem GdB von 80 Aufwendungen für private Fahrten
mit dem PKW bis 3.000 Km in Höhe von 0,30 EUR pro Kilometer geltend
machen. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bei einer
Begutachtung im Verfahren S 10 R 699/10 im Juni 2011 angegeben habe seit
ca. 15 Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbstätig zu
sein. Daran hat sich in den letzten dreieinhalb Jahren anscheinend
nichts geändert, denn der Kläger beziehe nach den im PKH-Verfahren
vorgelegten Unterlagen Leistungen nach dem SGB II und dürfte aufgrund
dessen auch seit Jahren keine Steuern gezahlt und deshalb nicht von
Steuerfreibeträgen profitiert haben. Die genannten Vorteile des Klägers
aus der Feststellung eines höheren GdB sind danach eher hypothetischer
Natur. Es werde darauf hingewiesen, dass auch bei unterstellter
hinreichender Erfolgsaussicht einer Klage Prozesskostenhilfe zu versagen
sei, wenn die Prozessführung mutwillig erscheine. Das könne der Fall
sein, wenn ein Kläger keinen realistischen Vorteil aus der Durchsetzung
seines Klagezieles erlangen könne und ein verständiger und vernünftiger
Betroffener, der für seine Kosten selbst aufkommen müsse, diesen Prozess
nicht führen würde. Auf Nachfrage hat der Kläger weiter mitgeteilt, er
gehe aktuell nicht davon aus, dass er in der Zukunft arbeiten werde.
Steuern habe er zuletzt vor ca. 10 Jahren gezahlt.
Ausweislich
der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
und der dazu beigefügten Unterlagen bezieht der Kläger Sozialgeld für
nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte unter Anrechnung einer Rente
wegen geminderter Erwerbsfähigkeit. Seine Ehefrau erhält Leistungen nach
dem SGB II.
Nach § 73 a
Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter unter
bestimmten persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen
Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung ausreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach § 114
Abs. 2 ZPO ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig,
wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei
verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende
Erfolgsaussicht besteht. Auch wenn unter Berücksichtigung der
Klagebegründung hinreichende Erfolgsaussichten der Klage bei
summarischer Prüfung nicht verneint werden und der Antragsteller nach
den eingereichten Unterlagen nach seinen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht
aufbringen kann, kann ihm Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden,
denn die Rechtsverfolgung erscheint mutwillig im Sinne der Regelung über
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Aus der
gesetzlichen Regelung in § 114 ZPO, der kumulativen Aufzählung in Abs. 1
und der ausdrücklichen Klarstellung in Abs. 2 (obwohl eine hinreichende
Aussicht auf Erfolg besteht) ergibt sich, dass die Voraussetzung
hinreichende Erfolgsaussicht und die negativer Voraussetzung "nicht
mutwillig erscheint" nebeneinander vorliegen müssen. Das bedeutet
zugleich, dass die hinreiche Wahrscheinlichkeit eines Klageerfolges die
Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung nicht ausschließt. Ferner ergibt sich
aus der gesetzlichen Formulierung "nicht mutwillig erscheint", dass
Mutwilligkeit nicht vorliegen muss, es genügt der Anschein von
Mutwilligkeit.
Trotz
Erfolgsaussicht der Klage wird Prozesskostenhilfe nicht gewährt, wenn
die Rechtsverfolgung mutwillig erscheint. Dabei gilt für § 114 ZPO nicht
der selbe Mutwillensbegriff wie in § 192 SGG. Der im
sozialgerichtlichen Verfahren seltene Fall des Mutwillens kann
vorliegen, wenn ein Beteiligter, der für Kosten selbst aufkommen muss,
diesen Prozess nicht oder nicht in vollem Umfang führen würde, etwa weil
er durch ein günstiges Urteil auf absehbare Zeit keinen Vorteil hätte
(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, Kommentar, 11.
Auflage, § 73 a RdNr. 8; Baumbach, Lauterbach, Albers-Hartmann, ZPO,
Kommentar, 72. Auflage, § 114 RdNr. 107: "Maßgeblich ist ... der Nutzen
einer Entscheidung überhaupt"; LSG NRW, Beschluss vom 15.05.2000, L 3 B
7/02 P, NZS 2003, Seite 112; rechtskräftige Beschlüsse der Kammer vom
02.02.2004, S 24 SB 301/03, und vom 31.10.2006, S 24 SB 99/06). Um einen
solchen Fall von Mutwillensanschein handelt es sich hier. Nach
Auffassung des Gerichts kann der Antragsteller aus einer für ihn
günstigen Entscheidung derzeit keinen Nutzen ziehen. Aus den von ihm
eingereichten Unterlagen im Rahmen seiner Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Familie ergibt
sich, dass seine (als Ergebnis des Klageverfahrens S 10 R 699/10
bewilligte) Erwerbsunfähigkeitsrente und weitere Sozialleistungen für
ihn und seiner Frau derzeit deren einzige Einnahmequelle sind. Vermögen
hat er nicht. Steuern werden von der Bedarfsgemeinschaft nicht gezahlt.
Aus dem von der Höhe des GdB abhängigen Steuerfreibetrags und
Aufwendungen für private Fahrten mit dem PKW (der Besitz eines Kfz wird
in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
verneint) kann er daher aktuell keinen Nutzen ziehen und wird dies nach
eigener Einschätzung, die im Hinblick auf seine eingeschränkte
Erwerbsfähigkeit zutreffen dürfte, auch künftig nicht. Soweit sein
Bevollmächtigter darauf hinweist, dass der Kläger ein Recht darauf hat,
dass festgestellt wird, welcher GdB bei ihm tatsächlich vorliegt, trifft
dies sicher zu. Davon unabhängig ist aber, dieses Recht nicht
uneingeschränkt in jedem Fall unter Verlagerung des Kostenrisikos auf
die Landeskasse durchzusetzen ist. Der weitere Hinweis, die Anerkennung
eines bestimmten GdB diene auch der Bestätigung des Betroffenen, dass
die Gesellschaft einen bestimmten GdB offiziell akzeptiere und
bescheinige, für viele Betroffene habe es auch eine psychologische
Komponente, von behördlicher Seite und damit letztlich auch von
gesellschaftlicher Seite bestätigt zubekommen, dass Behinderungen in
einem konkret zu benennenden Maße und eine damit einhergehende
Abweichung von der normalen gesundheitlichen Konstitution vorliegen,
wird von seinem Bevollmächtigten selbst in Abgrenzung zum Anschein der
Mutwilligkeit im PKH-Antragsverfahren mit der Durchführung des
Klageverfahrens selbst verknüpft. Dies mag die subjektive Motivation des
Klägers für die Durchführung des Klageverfahrens begründen, zeigt aber
gerade, dass ein konkreter rechtlicher Vorteil aus dem angestrebten
Klageerfolg gerade nicht gezogen werden kann.
Es handelt
sich damit mit anderen Worten um eine Klage aus Prinzip. Ein
verständiger Beteiligter bzw. ein nicht bedürftiger Beteiligter würde
bei einer solchen Konstellation unter Beachtung des Prozessrisikos einen
Prozess um die Erhöhung eines GdB, bei dem er aus einem günstigen
Urteil auf absehbare Zeit keinen Vorteil ziehen kann, nicht führen."
Quelle: Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 23.02.2015 - S 24 SB 1562/14
Praxistipp: Die Entscheidung benachteiligt schwerbehinderte Menschen. Es kann nicht darauf ankommen, ob der Kläger Einkommensteuer zu zahlen hat oder nicht, damit er seinen höheren GdB mit anwaltlicher Hilfe feststellen lassen kann. Wenn der schwerbehinderte
Mensch meint sein GdB sei - auch geringfügig - zu niedrig festgestellt, dann hat er ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Klage bei Ablehnung seines Antrags durch die Behörde. Er muss nicht konkrete Vorteile benennen. Oft werden die abgestuften Pauschbeträge § 33 b Einkommensteuergesetz gar nicht in Anspruch genommen werden können, weil keine Einkommensteuer zu zahlen ist. Allerdings sind an den konkreten hohen GdB zahlreiche Vergünstigungen geknüpft wie Ermäßigungen bei Theater, Schwimmbad, kulturellen Veranstaltungen, die dem schwerbehinderten Menschen offen stehen. Die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe wegen Mutwillens ist dann nicht rechtmäßig. Der Sozialrechtsexperte empfiehlt Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde.
Vera Munz, Rechtsanwältin im Sozialrechtsexperten-Team
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