Direkt zum Hauptbereich

VG Stuttgart: Rundfunkbeitrag europarechtskonform und verfassungsgemäß


Das VG Stuttgart hat in zwei Musterverfahren die Klagen gegen den Südwestrundfunk (SWR) wegen Rundfunkbeitragspflicht abgewiesen.
Seit Inkrafttreten des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags zum 01.01.2013 müssen grundsätzlich alle Haushalte einen Rundfunkbeitrag i.H.v. 17,98 Euro entrichten, unabhängig davon, ob ein Fernseher oder Radio vorhanden ist. Bis Ende 2012 konnten sich Behinderte von der Zahlung der Rundfunkgebühren befreien lassen, wenn sie das Merkzeichen "RF" in ihrem Schwerbehindertenausweis hatten. Dieses wurde unter anderem erteilt, wenn der schwerbehinderte Mensch ans Haus gebunden war und dabei mindestens einen GdB von 80 hatte. Mit dem jetzt eingeführten Rundfunkbeitrag wurden die Befreiungsregelungen geändert. Befreit sind weiterhin Hartz-IV-Bezieher, Asylbewerber oder auch Empfänger von Blindenhilfe. Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen "RF" müssen dagegen nun einen ermäßigten Beitrag (ein Drittel von 17,98 Euro ) zahlen.
Im Verfahren 3 K 4897/13 war der schwerbehinderte (gehbehinderte) Kläger, der über das Merkzeichen "RF" in seinem Schwerbehindertenausweis verfügt, seit Mai 2005 von der Rundfunkbeitragspflicht befreit. Der Kläger macht geltend, wegen seiner Behinderung müsse ihm wie bisher der gesamte Rundfunkbeitrag erlassen werden. Im Verfahren 3 K 1360/14 war die Klägerin in der Vergangenheit (nur) mit einem Hörfunkgerät gemeldet und hatte die dafür anfallenden Rundfunkgebühren entrichtet. Die Klägerin macht mit ihrer Klage geltend, sie halte (weiterhin) nur ein Hörfunkgerät zum Empfang bereit und werde als "Nurradiohörerin" überproportional belastet. Beide Kläger wenden sich außerdem gegen die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags, der eine Steuer darstelle, für die die Bundesländer keine Kompetenz besäßen, rügen eine Verletzung der informationellen Selbstbestimmung durch das bundesweite zentrale Register der Wohnungs- und Betriebsstätteninhaber und machen geltend, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfülle nicht ansatzweise seinen Auftrag der Grundversorgung.
Das VG Stuttgart hat die Klagen abgewiesen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts begegnen der von den Klägern beanstandeten Rundfunkbeitragspflicht keine europarechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Länder hätten für die Einführung des Rundfunkbeitrags die Gesetzgebungskompetenz. Der Rundfunkbeitrag komme nicht einer Steuer gleich, da der Rundfunkbeitrag als Gegenleistung für das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben werde. Dieses Austauschverhältnis zwischen Beitrag und Rundfunknutzung werde auch nicht dadurch infrage gestellt, dass, wie die Kläger meinen, der Marktanteil des "ARD-ZDF-Verbunds" mittlerweile auf nur noch etwas mehr als ein Drittel gesunken sei. Hieraus könne nur der Schluss gezogen werden, dass die Gesamtheit aller Rundfunkteilnehmer bezogen auf die Hör- bzw. Sehdauer mehr private als öffentlich-rechtliche Programme nutze. Dagegen sage der Marktanteil an sich über die Zahl derjenigen, die öffentlich-rechtliche Programme überhaupt nutzten, nichts aus.
Durch die Anbindung der Beiträge an die Wohnungsinhaber werde auch nicht das Gleichheitsgebot verletzt. Bei der Erhebung von Rundfunkbeiträgen sei der Gesetzgeber befugt, in weitem Umfang zu generalisieren, pauschalieren und typisieren. Entgegen der Auffassung der Klägerin im Verfahren 3 K 1360/14 verstoße der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag auch nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil anders als bisher im privaten Bereich ein einheitlicher Rundfunkbeitrag unabhängig davon anfalle, ob der Beitragsschuldner wie vorliegend die Klägerin "Nur-Radiohörer" sei oder Fernsehdarbietungen empfangen könne. Denn der Grundsatz der Gleichbehandlung gebiete es nicht, den Rundfunkbeitrag nach einzelnen Geräteklassen zu staffeln oder einen Grund- und einen Zusatzbeitrag vorzusehen. Auch die Ermäßigung des Rundfunkbeitrags für behinderte Menschen auf ­ nur ­ ein Drittel sei rechtlich korrekt. Eine völlige Freistellung vom Rundfunkbeitrag wie bisher könne der Kläger des Verfahrens 3 K 4897/13 nicht fordern. Eine generelle vollständige Rundfunkbeitragsermäßigung für behinderte Menschen würde verfassungsrechtlich mit dem Gleichheitssatz kollidieren, da es hierfür keinen sachlichen Grund gebe. Das Merkzeichen "RF" entspreche nicht mehr den gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen und es sei sozial nicht geboten, finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Rundfunk- und Fernsehnutzung vollständig zu finanzieren.
Der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung durch den Meldeabgleich sei gerechtfertigt. Soweit darüber hinaus Grundrechtsverstöße hinsichtlich der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Informationsfreiheit und der Religionsfreiheit geltend gemacht wurden, sei bereits der Schutzbereich dieser Grundrechte nicht berührt.
Gegen die Urteile wurde die Berufung zugelassen. Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung der Urteile Berufung zum VGH Mannheim einlegen.

Gericht/Institution:VG Stuttgart
Erscheinungsdatum:13.10.2014
Entscheidungsdatum:01.10.2014
Aktenzeichen:3 K 4897/13, 3 K 1360/14
juris

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist