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EuGH Generalanwalt : Deutschland muß keine existenzsichernde Leistungen an EU-Bürger zahlen


Nach Ansicht von Generalanwalt Melchior Wathelet kann Deutschland Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines allgemeinen Kriteriums, mit dem das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat nachgewiesen wird, "Sozialleistungen für hilfebedürftige Arbeitsuchende" verweigern.
Deutschland könne somit von solchen Leistungen die Personen ausschließen, die einzig und allein mit dem Ziel kommen, eine Beschäftigung zu suchen oder Sozialhilfe zu beziehen, so der Generalanwalt.

In Deutschland können hilfebedürftige Arbeitsuchende Leistungen der Grundsicherung beantragen, um u.a. für ihren Lebensunterhalt zu sorgen (die vom SGB II vorgesehenen Leistungen der Grundsicherung umfassen auch Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, diese Leistungen sind aber nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits; neben dieser Regelung für Arbeitsuchende sieht ein Sozialhilfesystem im engeren Sinn im Rahmen des SGB XII einen ähnlichen Ausschluss wie den vor, um den es im vorliegenden Fall geht.). Die so gewährten Leistungen sollen es ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht, und den Regelbedarf, Mehrbedarfe sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung abdecken. Allerdings sind die Personen, die sich einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland begeben, in den Genuss dieser Leistungen zu kommen oder eine Beschäftigung zu suchen, nach dem deutschen Recht von diesen Leistungen ausgeschlossen. Das Ziel dieses Ausschlusses ist es, die unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen in Deutschland zu verhindern.
Das SG Leipzig möchte wissen, ob das Unionsrecht einem solchen Ausschluss entgegensteht. Dieses Gericht muss einen Rechtsstreit zwischen Frau D. und ihrem minderjährigen Sohn, die beide rumänische Staatsangehörige sind, auf der einen Seite und dem Jobcenter Leipzig auf der anderen Seite entscheiden. Unter Berufung auf den vom deutschen Recht vorgesehenen Ausschluss weigerte sich das Jobcenter Leipzig, diesen beiden Personen die Leistungen der Grundsicherung zu gewähren (für ihren Sohn erhält Frau D. allerdings von den deutschen Behörden Kindergeld i.H.v. 184 Euro pro Monat sowie einen Unterhaltsvorschuss i.H.v. 133 Euro pro Monat). Frau D. und ihr (in Deutschland geborener) Sohn leben seit mehreren Jahren in Leipzig in der Wohnung einer Schwester von Frau D., die sie mit Naturalien versorgt. Frau D. hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig. Sie ist offenbar nicht nach Deutschland eingereist, um Arbeit zu suchen, und bemüht sich offenbar nicht darum, eine Beschäftigung in diesem Land zu finden.
In seinen Schlussanträgen ist Generalanwalt Melchior Wathelet der Auffassung, dass das Unionsrecht (im Einzelnen handelt es sich um die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - ABl. L 166, 1, und – Berichtigung – ABl. L 200, 1 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 - ABl. L 284, 43) geänderten Fassung und die RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der RL 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG - ABl. L 158, 77, und – Berichtigung – ABl. L 229, 35) es nicht verwehre, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines allgemeinen Kriteriums "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" (wie die Leistungen der deutschen Grundsicherung für hilfebedürftige Arbeitsuchende verweigert werden, sofern mit dem herangezogenen Kriterium (wie z.B. dem Grund für die Einreise des Antragstellers in das Staatsgebiet des Mitgliedstaats) das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit diesem Staat nachgewiesen werden könne und so eine übermäßige Belastung für das Sozialhilfesystem verhindert werden solle. Nach Ansicht des Generalanwalts stellen diese Leistungen, die aus der Zusammenlegung von zwei früheren Regelungen (nämlich der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe) hervorgegangen seien, besondere beitragsunabhängige Geldleistungen i.S.d. Verordnung Nr. 883/2004 dar, die in dieser Eigenschaft der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterliegen. Sie stellen jedoch auch Sozialhilfeleistungen i.S.d. Richtlinie 2004/38 dar, weshalb die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates und die Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt Gebrauch gemacht haben, ggf. ungleich behandelt werden könnten.
Das Unionsrecht (genauer gesagt die RL 2004/38) gestatte es Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, sich für drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörige sie seien, aufzuhalten, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Wenn solche Personen länger als drei Monate bleiben wollen, müssten sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch nehmen müssten. Daraus folge zwangsläufig, dass es bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen im Verhältnis zwischen den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates und den anderen Unionsbürgern zu einer Ungleichbehandlung kommen könne.
Rechtsvorschriften, die Leistungen der Grundsicherung Personen verweigern, die weit davon entfernt seien, sich in den Arbeitsmarkt integrieren zu wollen, und einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland kommen, Nutzen aus dem deutschen Sozialhilfesystem zu ziehen, stehen nach Ansicht von Generalanwalt Wathelet in Einklang mit dem Willen des Unionsgesetzgebers. Damit könne verhindert werden, dass Personen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden. Sie stehen außerdem mit dem den Mitgliedstaaten in diesem Bereich überlassenen Gestaltungsspielraum in Einklang. Sie erlauben es mit anderen Worten, Missbräuche und eine gewisse Form von "Sozialtourismus" zu verhindern.
Das von Deutschland herangezogene Kriterium (dass der Betroffene nur deshalb in das deutsche Staatsgebiet einreist, um eine Beschäftigung zu suchen oder Sozialhilfe zu beziehen) sei geeignet, das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats und einer Integration in diesen darzulegen. Dieses Kriterium erlaube es, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Systems sicherzustellen, ohne sein finanzielles Gleichgewicht zu gefährden. Die deutschen Rechtsvorschriften verfolgen daher ein legitimes Ziel, wie dies vom EuGH verlangt werde. Außerdem stehe das gewählte Kriterium im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel. Um zu bestimmen, ob der Antragsteller unter den fraglichen Ausschluss falle und ihm somit die Gewährung der Leistungen der Grundsicherung verweigert werden müsse, müssten die deutschen Behörden nämlich zwangsläufig seine persönliche Situation prüfen.
Gericht/Institution:EuGH
Erscheinungsdatum:20.05.2014
Aktenzeichen:C-333/13  juris

Kommentare

  1. Ich finde es gut solche Menschen auszuschließen, denn wenn ich z.B. nach Amerika auswandere oder auch nach Rumänien dann bekomme ich auch nichts und muß gucken das ich Arbeit finde um mich zu versorgen.
    Ich finde das dies auch jedem andern Menschen zu zumuten ist.
    Wer hier nicht einbezahlt hat darf auch nichts bekommen denn sonst gefärden wir alle unseren Sozialstaat. Denn wenn das Geld weg ist ist auch der Sozialstaat weg und dann möchte ich mal sehen wer uns aufnimmt und ohne gegenleistung Geld gibt!

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