Direkt zum Hauptbereich

VG Wiesbaden 6. Kammer: Auskunftsanspruch nach Informationsfreiheitsgesetz auf Rohdaten zur Ermittlung der Regelsätze nach dem SGB

VG Wiesbaden 6. Kammer, Teilurteil v. 22.05.2012 - 6 K 1374/11.WI

Art 1 Abs 1 GG, § 16 Abs 2 BStatG, § 1 Abs 1 IFG, § 5 IFG, Gesetz über die Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte, EGV 1177/2003, § 3 Ziff 4 IFG, Art 20 Abs 2 GG

Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz

Leitsatz

1. Die Einkommens- und Verbraucherstichprobe nach dem Gesetz über die Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte kommt auf Grund der freiwilligen Beteiligung zu einem nicht sehr repräsentativen Ergebnis.

2. Die Angaben in den Haushaltsbüchern können einer natürlichen Person zugeordnet werden.

3. Bei den sogenannten Rohdaten handelt es sich nicht mehr um Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse handeln, sondern um Daten, welche aus den Haushaltsbüchern zu den jeweiligen Fallgruppen genommen worden sind, ohne dass dafür eine statistische Auswertung erfolgte.

4. Die Rohdaten unterliegen nicht § 16 BStatG, da es sich um statische - aggregierte - Daten und nicht um Einzelangaben handelt. Insoweit besteht ein Auskunftsanspruch nach § 1 IFG.

5. Die freiwillige, amtliche Haushaltsbefragung für die EU-SILC ist mit der Verordnung (EG) Nr. 1177/2003 nicht in Übereinstimmung zu bringen, mit der Folge, dass gegen EU-Recht verstoßen wird.

6. Durch die Beteiligung des zuständigen Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung und Beiziehung der Gesetzesvorgangsakten, kann ein betroffener Kläger in einem Verfahren bei den Sozialgerichten die entsprechenden statistischen Daten und Angaben zur Ermittlung der gesetzgeberischen Ermittlung der R

Tenor

Dem Kläger wird soweit Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug gewährt, als der Kläger beantragt hat ihm die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen Daten von rund 60.000 Haushaltsbüchern als Datenfiles in anonymisierter Form zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.


Auskunftsanspruch nach Informationsfreiheitsgesetz auf Rohdaten zur Ermittlung der Regelsätze nach dem SGB


Das VG Wiesbaden hat einem Kläger Prozesskostenhilfe für eine Klage gewährt, mit der er Informationen über die Ermittlung der sozialhilferechtlichen Regelsätze erhalten möchte.

Der Kläger, der Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) bezieht, hält die Regelsätze für Alleinstehende für verfassungswidrig. Er beruft sich hierbei auf eine Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09), nach der dem Gesetzgeber aufgegeben worden ist, bis spätestens 31.12.2010 die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder gemäß dem SGB II transparent und nachvollziehbar zu bemessen. Dem sei der Gesetzgeber durch Anpassung der Regelsätze zwar nachgekommen. Er habe sich dafür auf die Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 des Statistischen Bundesamtes berufen. Das Vorgehen des Gesetzgebers sei nicht transparent und nachvollziehbar. Um die Rechtmäßigkeit der Ermittlung der Regelsätze nachprüfen zu können, begehrte der Kläger nun im Klagewege Einsicht in die 60.000 Haushaltsbücher, die der Einkommens- und Verbraucherstichprobe zugrundeliegen.

Das VG Wiesbaden hat die Prozesskostenhilfe versagt für die Klage auf Einsicht in die der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) zugrundeliegenden 60.000 Haushaltsbücher mangels Aussicht auf Erfolg.

Bei der EVS 2008 handele es sich um eine freiwillige Erhebung. Von den teilnehmenden Haushalten werden hierbei die Einnahmen der Haushalte nach Quellen und die Verwendung der Einnahmen für den privaten Verbrauch (nach Art, Menge und Betrag), Steuern, Abgaben, Beiträge zur Sozialversicherung und zu privaten Versicherungen, Rückzahlung von Schulden, Vermögensbildung und sonstige Zwecke abgefragt. Es handele sich bei der EVS eindeutig um eine Statistik im Sinne des Bundesstatistikgesetzes, auch wenn es bei der nur freiwilligen Beteiligung zu einem nicht sehr repräsentativen Ergebnis komme, wie das Statistische Bundesamt selbst einräume. Es lägen aber personenbeziehbare Daten vor, da die Angaben in jedem Haushaltsbuch wegen ihrer Spezifizierung einer natürlichen Person zugeordnet werden könnten. Das habe, so das Gericht, allerdings zur Folge, dass diese personenbeziehbaren Daten ein Amtsgeheimnis darstellten, das auch nach dem Informationsfreiheitsgesetz nicht preisgegeben werden dürfe.

Das VG Wiesbaden hat dem Kläger jedoch insoweit Prozesskostenhilfe gewährt, als der Kläger nach § 1 des Informationsfreiheitsgesetzes Anspruch auf die Daten habe, die aus den 60.000 Haushaltsbüchern gezogen wurden, also auf die so genannten Rohdaten des Statistischen Bundesamtes.

Diese Klage habe Aussicht auf Erfolg. Für die Rohdaten werden aus den 60.000 Haushaltsbüchern Haushaltstypen nach Größe, Zusammensetzung und Einkommenshöhe gebildet. Ermittelt wird dann weiter, welcher Teil der Ausgaben dieser Haushaltstypen auf die Ernährung, Bekleidung, die Wohnmieten und auf andere Bedarfsgruppen entfällt. Diese Rohdaten unterfallen nach Auffassung des Gerichts nicht der Geheimhaltungspflicht, da es sich um angehäufte (aggregierte), also statistische Daten und nicht um Einzelangaben im Sinne des Statistikgesetzes handele.

Gegen den Beschluss kann der Kläger, soweit ihm Prozesskostenhilfe versagt wurde, Beschwerde beim VGH Kassel einlegen.
Quelle: juris - Auskunftsanspruch nach Informationsfreiheitsgesetz auf Rohdaten zur Ermittlung der Regelsätze nach dem SGB



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist