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Keine Anrechnung eines Guthabens aus Betriebskostenabrechnung bei Verrechnung durch Vermieter mit eigener Forderung

Sozialgericht Neubrandenburg Urteil vom 27.09.2010, - S 11 AS 960/07 -

Die Kammer verweist auf ihre Rechtsprechung (wie hier SG Schleswig, Urteil vom 30.11.2009, Aktenzeichen: S 4 AS 1044/07; SG Bremen, Az.: S 23 AS 2179/09 ER, sowie die 14. Kammer des SG Neubrandenburg, SG Mannheim, Urteil vom 1. Juli 2009, Az: S 10 AS 3363/08, SG Detmold, Urteil vom 18. März 2009, Az: S 23 (10) AS 232/07) zu dieser Rechtsfrage, an welcher sie trotz der teilweise entgegenstehenden Rechtsprechung (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 6. Senat, Urteil vom 22.09.2009, Aktenzeichen: L 6 AS 11/09, Landessozialgericht Baden-Württemberg 3. Senat, Urteil vom 20.01.2010, Aktenzeichen: L 3 AS 3759/09; zum Teil wie hier: Landessozialgericht Hamburg 5. Senat, Urteil vom 16.07.2009, Aktenzeichen: L 5 AS 81/08) festhält.


19Den abweichenden Entscheidungen ist nicht zu folgen.


Denn maßgeblich ist, dass die Betriebskostenerstattung dem Hilfebedürftigen tatsächlich zur Verfügung steht (siehe auch den Beschluss des SG Chemnitz 35. Kammer vom 12.04.2010, Aktenzeichen: S 35 AS 1606/10 ER, m.w.N zur vergleichbaren Rechtsfrage der Anrechnung fiktiven Einkommens). Die Entscheidungen, die aus dem Begriff "Guthaben" etwas anderes ableiten, verkennen, dass es sich bei den Tatbestandsmerkmalen "Guthaben" und "Gutschrift" um ein Begriffspaar handelt und sich aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal "Rückzahlung" ergibt, dass dem Hilfebedürftigen tatsächlich etwas - dahinstehen kann, ob es sich um Einkommen oder den Rückfluss überzahlter Kosten der Unterkunft handelt - zugeflossen ist. Mit einer Gutschrift in diesem Sinne und damit mit einer Rückzahlung vergleichbar ist nach hiesigem Verständnis nur eine entsprechende Buchung auf dem Konto bei einem Kreditinstitut oder Sparkasse des Hilfebedürftigen (a.A. Landessozialgericht Baden-Württemberg 3. Senat, Urteil vom 20.01.2010, Az.: L 3 AS 3759/09, sowie Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 6. Senat, Urteil vom 22.09.2009, Az.: L 6 AS 11/09, wonach das Wort "Gutschrift" keine Zahlung beinhalte, sondern allein die schriftliche Fixierung bzw. Eintragung eines Guthabens als eines bestehenden Anspruchs eines Anderen ausdrücken solle). Dagegen ist die bloße Erfassung des Rückzahlungsanspruchs des Mieters/ Hilfebedürftigen als "Haben-Buchung" im Mieterkonto keine "Gutschrift", weil es sich lediglich um eine Erfassung eines Saldo-Postens in der Buchhaltung handelt, auf die der Hilfebedürftige tatsächlich (zunächst) nicht zugreifen kann.

20Der o.g. Entscheidung des LSG Hamburg ist nicht zu folgen. Denn diese ist weder mit dem Gesetz noch mit Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 15.04.2008, Az.:B 14/7b AS 58/06 R, Rn. 37 zitiert nach juris vereinbar, in welchem u.a. ausgeführt wird:


21"... Die Vorschrift des § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II, wonach Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern, ist erst durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) in das SGB II eingefügt worden und ist damit auf die Gutschrift im August 2005 nicht anwendbar. Zwar heißt es in der Amtlichen Begründung zu § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II, mit der Regelung werde klargestellt, wie Betriebskostenrückzahlungen zu berücksichtigen seien (BT-Drucks 16/1696 S 26 f). Aus den weiteren Ausführungen ergibt sich aber, dass dies jedenfalls nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Regelung nur eine bereits zuvor bestehende Rechtslage verdeutlichen soll. Die Regelung diente vielmehr dazu, eine bestehende Schieflage zu beseitigen (vgl Lang/Link in Eicher / Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 RdNr 61b). So wird in der Amtlichen Begründung dargelegt, dass die Berücksichtigung der Betriebskostenrückzahlungen als Einkommen zu nicht sachgerechten Ergebnissen führe, weil ein Pauschbetrag abgesetzt werden müsse und das zu berücksichtigende Einkommen zuerst die Geldleistungen der Agentur für Arbeit mindere, obwohl die überzahlten Betriebskostenbeträge zu über 70 % von den Kommunen aufgebracht worden seien. Da es vor Inkrafttreten des § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II an einer Sonderregelung für Betriebskostenrückzahlungen fehlte, war § 11 SGB II anzuwenden mit den vom Gesetzgeber aufgezeigten Folgen. Die Rückzahlung minderte nicht den Bedarf für Wohnung und Heizung, sondern war gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen..."

22Demnach handelt es sich bei der Vorschrift des § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II um eine spezielle gesetzliche Vorschrift. Es verbietet sich damit auf allgemeine gesetzliche Vorschriften zurückzugreifen, wenn die an sich einschlägige speziellere Regelung nicht eingreift und damit die gesetzliche Intention umgangen wird.


23Soweit das LSG NRW in seinem o.g. Urteil vom 22.09.2009 ausführt, dass der mit den Leistungen nach dem SGB II verbundene Sicherungsauftrag nicht bedeute, dass der Hilfebedürftige in jedem Leistungsmonat auch den vollen Leistungsbetrag zu erhalten habe, dass auch Leistungsempfänger, die nicht Privatinsolvenz angemeldet haben, ggf. bestehende private Schulden aus der Regelleistung finanzieren müssten und Zahlungen zur Schuldentilgung im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich nicht vom Einkommen abgezogen werden (BSG, Urteil vom 19.09. 2008, B 14/7b AS 10/07 R), kein Grund ersichtlich sei, warum Leistungsempfänger in der Privatinsolvenz gegenüber Leistungsempfängern mit privaten Schulden durch eine restriktive Auslegung des § 22 Abs. 1 S.4 SGB II besser gestellt werden sollten und die "Nichtanrechnung" einer Gutschrift letztlich zu einer nach den Grundsätzen des SGB II-Leistungsrechts nicht gewollten Schuldentilgung mittels Sozialleistungen führen würde, vermag die Kammer dieser Rechtsansicht nicht zu folgen.


24Dieser Ansicht steht bereits die Grundausrichtung des SGB II entgegen, die in § 2 SGB II mit dem Grundsatz des Forderns zum Ausdruck gebracht wird. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB II haben erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mittel und Kräften zu bestreiten. Die hier formulierte Eigenverantwortlichkeit des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die damit korrespondierende Subsidiarität stattlicher Leistungen, wie sie auch in § 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II normiert wurde, hat für die übrigen Vorschriften des SGB II interpretationsleitende Funktion. Demgegenüber hätte die vorgenannte Rechtsansicht die Konsequenz, dass der Hilfebedürftige zum bloßen Objekt bestimmt wird, der entgegen den geltenden Zurechnungsregeln (gesetzliche oder gewillkürte Vertretung) die mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Aufrechnung seines Vermieters gegen sich gelten lassen müsste, ohne selbst Einfluss auf die Entscheidung des jeweiligen Dritten nehmen zu können mit der Konsequenz einer faktischen Leistungskürzung.

25Die Kammer verweist insoweit zur weiteren Begründung auf das Urteil des SG Reutlingen 2. Kammer vom 10.06.2009,Az.: S 2 AS 1472/08, Rn. 27, zitiert nach juris. Entscheidend ist daher, ob der tatsächliche Einkommenszufluss zumindest für eine logische Sekunde dem Hilfebedürftigen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung steht, was beispielsweise der Fall wäre, wenn der Hilfebedürftige und sein Vermieter eine Vereinbarung über die Verrechnung des Guthabens treffen, also nicht nur einseitig vom Vermieter aufgerechnet wird.


26Soweit das vorgenannte Landessozialgericht für das Land NRW meint, der Hilfebedürftige müsse nicht in jedem Monat vollständige existenzsichernde Leistungen erhalten, so erscheint dies mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes und der Rechtsprechung des BSG zur Berücksichtigung von Betriebskostennachzahlungen als aktuellen Bedarf im Monat der Fälligkeit und schließlich mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) nicht vereinbar.

Dieser Entscheidung ist zu entnehmen, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Absatz 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 GG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu sichert, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.


Konsequenterweise wären nach dem Urteil des LSG NRW nur Leistungen für KdU zu erbringen, soweit eine Kündigung und damit ein Wohnungsverlust abgewendet werden müsste. Ein solches Ergebnis ist offensichtlich nicht sachgerecht.


http://www.landesrecht-mv.de/jportal/portal/page/bsmvprod.psml?doc.id=JURE100070369&st=ent&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

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