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Eine Heiz- und Betriebskostennachforderung ist für eine zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung vom Arbeitsuchenden nicht mehr bewohnte Wohnung gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 als Unterkunftskostenbedarf im Fälligkeitsmonat vom Jobcenter zu übernehmen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist vorliegend die Betriebskostennachforderung auch für die im Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr bewohnte Wohnung ein einmaliger Bedarf für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II.

Durch die Betriebskostennachforderung ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB X eingetreten.

Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist nicht bereits deswegen zu verneinen, weil die Kosten für die Wohnung unangemessen gewesen sein könnten.

Die hier nachgeforderten Betriebskosten sind in einem Zeitraum entstanden, in dem die Klägerin sich noch innerhalb der vom Landkreis gesetzten "Schonfrist" des § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II a. F. zur Durchführung von Kostensenkungsmaßnahmen befand.

In diesem Zeitraum waren die ggf unangemessenen Kosten weiterhin vom Landkreis zu tragen.

Ebenso wenig steht der Annahme einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse entgegen, dass der Bedarf durch die Betriebskostennachforderung materiell nicht dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zuzuordnen ist.

Zwar beurteilt sich die Rechtslage nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums der Entstehung der fraglichen Forderung.

Wird die Forderung jedoch erst später geltend gemacht und besteht ein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, ist der Bedarf im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung zu decken. So liegt der Fall hier.

Bei der Betriebskostennachforderung handelt es sich um einen bisher vom Grundsicherungsträger - trotz des Leistungsbezugs im Zeitraum der tatsächlichen Zuordnung der Entstehung der Forderung - bisher nicht gedeckten Bedarf für Unterkunft und Heizung.

Die Klägerin stand auch bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung ununterbrochen im Leistungsbezug. Zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Leistungsberechtigte die Wohnung, für die die Betriebskostennachforderung geltend gemacht wird, aktuell nicht mehr bewohnt, weil sie die Wohnung in Wahrnehmung einer ihr auferlegten Obliegenheit zur Kostensenkung aufgegeben hat, ist der Leistungsträger verpflichtet, Leistungen für die Nachforderung auch der aktuell nicht mehr bewohnten Wohnung zu erbringen.

Der Bedarf wandelt nicht allein durch den Wohnungswechsel von einem solchen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in einen zur Schuldentilgung.

Mit der Geltendmachung der Betriebskostennachforderung durch den Vermieter ist eine rechtserhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. § 22 Abs 1 SGB II erfasst nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung (BSG Beschluss vom 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 9; BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14 AS 54/07 R - RdNr 19, FEVS 60, 490, 494; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 49/07 R - BSGE 102, 194 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 16, RdNr 26; BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 38 RdNr 13).



Soweit eine Nachforderung in einer Summe fällig wird, ist sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen (BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/07 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 36). Nachzahlungen gehören demzufolge zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat (vgl nur BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 38 RdNr 13).

Der Annahme einer wesentlichen Änderung steht auch nicht entgegen, dass der Bedarf durch die Betriebskostennachforderung vom 10.9.2007 nicht materiell diesem Monat oder dem Monat der Fälligkeit am 31.12.2007 zuzuordnen ist. Wie der Senat bereits entschieden hat, beurteilt sich die Rechtslage vielmehr nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist (vgl BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 12/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).


Für eine derartige Auslegung spricht insbesondere der dem § 22 SGB II innewohnende Schutzgedanke. Kostensenkungsmaßnahmen können nur in dem Zeitpunkt realisiert werden, in dem die Kosten entstehen. Der Anspruch beurteilt sich deshalb dem Grunde und der Höhe nach ausschließlich nach den Verhältnissen des Jahres 2006.

Hat der Leistungsberechtigte die Wohnung für die die Betriebskostennachforderung geltend gemacht wird, aufgrund einer Kostensenkungsaufforderung des Leistungsträgers nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II aufgegeben, ist er mit dem Wohnungswechsel lediglich einer gesetzlich auferlegten Obliegenheit nachgekommen. Solange die Leistungen für Unterkunft bis zum Vollzug der Kostensenkungsaufforderung jedoch in tatsächlicher Höhe zu erbringen waren (s oben), stellen sie einen grundsicherungsrechtlichen Bedarf der Existenzsicherung im Bereich des Wohnens dar und sind nicht wie Schulden iS des § 22 Abs 5 SGB II zu behandeln.


Insoweit hat der Senat ebenfalls schon erkannt, dass die Frage, ob Schulden iS des § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II oder tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 SGB II vorliegen, unabhängig von deren zivilrechtlicher Einordnung ausgehend von dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II zu beurteilen ist, einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht von dem SGB II-Träger gedeckten Bedarf aufzufangen (BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 38; Urteil vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 190 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41).

Bezieht sich die Nachforderung an Betriebskosten auf einen während der Hilfebedürftigkeit des SGB II-Leistungsberechtigten eingetretenen und bisher noch nicht gedeckten Bedarf, handelt es sich mithin um vom SGB II-Träger zu übernehmende tatsächliche Aufwendungen nach § 22 Abs 1 SGB II.


Hat der Grundsicherungsträger dem Leistungsberechtigten bereits die monatlich an den Vermieter oder das Energieversorgungsunternehmen zu zahlenden Abschlagsbeträge zur Verfügung gestellt, den aktuellen Bedarf in der Vergangenheit also bereits gedeckt, und beruht die Nachforderung auf der Nichtzahlung der als Vorauszahlung vom Vermieter geforderten Abschläge für Heiz- und Betriebskosten, handelt es sich dagegen um Schulden (BSG Urteil vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 190 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41; Urteil vom 23.11.2011 - B 14 AS 121/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das ist hier, wie oben bereits dargelegt, jedoch nicht der Fall.

BSG, Urteil vom 20.12.2011, - B 4 AS 9/11 R -

http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&Datum=2011&nr=12359&pos=0&anz=256

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