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Tritt ein Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes aufgrund der inneren Abkehr von der Kirche aus der Kirche aus, stellt dies kein versicherungswidriges Verhalten im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III dar.

So urteilte das Sozialgericht München mit  Urteil vom 26.05.211, - S 35 AL 203/08 -.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch (auf Arbeitslosengeld) für die Dauer einer Sperrzeit wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und da-durch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).

Nicht ein Verhalten der Klägerin hat Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben, sondern in der Person der Klägerin liegende Gründe.

Im Ergebnis führte eine (fehlende) Eigenschaft der Klägerin – der Glaube an die katholische Kirche – zur Kündigung. Die katholische Kirche hat ein Interesse daran, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Einrichtungen an sie glauben.

In Artikel 4 der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (hier Grundordnung) sind die Loyalitätsobliegenheiten von katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festgehalten. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Satz 1 der Grundordnung wird von ihnen erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Grundordnung haben sie kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen.

Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.

Dementsprechend sieht die Kirche gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Grundordnung für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen insbesondere einen Kirchenaustritt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an. Gemäß Artikel 5 Absatz 5 der Grundordnung können Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aus der katholischen Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden.

Die innere Abkehr von der Kirche kann nicht als versicherungswidriges Verhalten im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III angesehen werden.

Andernfalls wäre es gesetzlich geboten die innere Abkehr von der Kirche zu unterlassen. Die Frage an wen bzw. was man glaubt ist kein steuerbares "Verhalten" im Sinne der Vorschrift. Verhalten ist willensgesteuert. Verhalten kann in einem Handeln oder Unterlassen bestehen. Die Frage des Glaubens ist weder willensgesteuert (wenn auch beeinflussbar) noch stellt sie ein Handeln oder Unterlassen dar.

Der offiziell erklärte Austritt aus der Kirche ist Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche. Der Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche nach außen – in Form des Kirchenaustritts – ist nicht als gesondert zu betrachtendes (versicherungswidriges) Verhalten im Sinne des SGB III zu bewerten, sondern stellt eine Einheit mit dem Glauben dar.

Andernfalls wäre es gesetzlich geboten trotz der inneren Abkehr von der Kirche dieser weiterhin offiziell anzugehören um einem kirchlichen Arbeitgeber zum Schutze der Versichertengemeinschaft den nicht vorhandenen Glauben an die Kirche zu signalisieren.

Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten negativen Religionsfreiheit ist § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III dementsprechend verfassungskonform auszulegen und in der Folge die innere Abkehr von der Kirche und der erklärte Austritt aus der Kirche als Einheit zu betrachten. Nach Überzeugung der Kammer wäre es verfassungswidrig wenn es einem Arbeitnehmer auferlegt würde, seine innere Überzeugung in Bezug auf die Religion nicht (durch einen Kirchenaustritt) nach außen kundzutun.

Er wäre gehalten einer Religionsgemeinschaft anzugehören an die er nicht glaubt (und diese zum Beispiel durch die Kirchensteuer auch finanziell zu unterstützen). Hier geht es nicht um ein Kundtun dieser Überzeugung am Arbeitsplatz. Die Frage des Kirchenaustritts betrifft nicht nur den Beruf, sondern den Menschen als Ganzes.

Anmerkung :

Die Beklagte stellt (unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2006, AZ: L 1 AL 162/05, ) darauf ab, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, weiterhin beim Caritasverband als Altenpflegerin zu arbeiten bis sie sich erfolgreich um einen anderen Arbeitsplatz bemüht habe. Der Klägerin obliege die Pflicht im Gemeinschaftsinteresse die Solidargemeinschaft zu entlasten. Diese Pflicht wiege schwerer als ihr Interesse an einer folgenlosen Verwirklichung ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit auch im Berufsleben

Die Klägerin hat nicht gekündigt, sie ist gekündigt worden. Schon daher kann es nicht entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war weiterhin an ihrem früheren Arbeitsplatz zu arbeiten – dies war ihr nach der Arbeitgeberkündigung nicht mehr möglich. Es kann allein entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war trotz innerer Abkehr von der Kirche weiterhin Mitglied der katholischen Kirche zu bleiben. Bei der Frage des Kirchenaustritts geht es nicht um die Verwirklichung der negativen Religionsfreiheit "auch im Berufsleben", sondern um die Frage der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Person, also um die negative Religionsfreiheit an sich.

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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