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Zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für einen Einpersonen- Haushalt in Bremen - Zusicherungserfordernis für die Anmietung eines Wohnraums bei Auszug der Mutter aus der gemeinsamen Wohnung.

Sozialgericht Bremen ,Beschluss vom 09.06.2011, - S 18 AS 894/11-

1. Für einen Einpersonenhaushalt ist derzeit eine Bruttokaltmiete (Grundmiete und Betriebskostenvorauszahlung) in Höhe von 393,80 Euro als angemessen zu erachten, zuzüglich der Heizkosten.

Für die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft greift die Kammer jedenfalls im Eilverfahren auf die Tabellenwerte zu § 12 Wohngeldgesetz zurück. Der Tabellenwert ist nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, der sich die erkennende Kammer nach eigener Prüfung anschließt, um einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% zu erhöhen. Hierzu hat das LSG in der genannten Entscheidung ausgeführt:


„Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass für die Stadt Bremen ein den Anforderungen des BSG genügendes sog. schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht vorliegt (vgl. hierzu ausführlich die die Beteiligten betreffenden Entscheidungen des OVG Bremen vom 18.02.2009 - S2 A 317/06 -, beim BSG anhängig unter dem Az. B 14 AS 132/10 R, und des SG Bremen vom 22.01.2009 —B 21 AS 1/09 R). Hiervon gehen insbesondere auch die aktuellen Verwaltungsanweisungen des Antragsgegners aus, indem sie auf die Tabellenwerte nach dem WoGG zurückgreifen. Nach ständiger Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG (vgl. zuletzt Urteile vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - und vom 19.10.2010 -B 14 AS 15/09 R -) sind indes im Falle des Fehlens lokaler Erkenntnismöglichkeiten grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen zu übernehmen. Die Heranziehung der Tabellenwerte nach dem WoGG dient dabei lediglich dazu, die zu übernehmenden tatsächlichen Aufwendungen nach "oben" zu begrenzen, um zu verhindern, dass per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler finanziert werden. Die Heranziehung der Tabellenwerte ersetzt mithin nicht die für den Vergleichsraum und den konkreten Zeitraum festzustellende Referenzmiete. Dabei ist der jeweilige Tabellenwert, mithin auch der aktuelle Wert nach § 12 WoGG, im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraums um einen Sicherheitszuschlag zu erhöhen. Denn es kann beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts nicht mit Sicherheit beurteilt werden, wie hoch tatsächlich die angemessene Referenzmiete ist (vgl. BSG-Urteil vom 17.12.2009 - 8 4 AS 50/09 R RdNr. 27). Dabei ist das BSG in der soeben genannten Entscheidung (RdNr. 22) ausdrücklich Überlegungen entgegengetreten, die vorliegend der Antragsgegner und auch das SG angestellt haben und die darauf abzielen, anstelle eines schlüssigen Konzepts eine "Gegenprobe" anzustellen, ob es möglich ist, innerhalb eines Vergleichsraums Wohnungen bis zur Höhe der Tabel¬lenwerte anzumieten. Es ist vielmehr nach der Rspr. des BSG grundsätzlich ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung der erforderlichen Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum erforderlich. Hieran fehlt es hier. Für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem Ermittlungen zur maßgeblichen Referenzmiete nicht durchgeführt werden können, bedeutet dies, dass vorerst die Bruttokaltmiete bis zur Höhe des Tabellenwerts nach § 12 WoGG, dieser erhöht um einen Sicherheitszuschlag von 10%, zu übernehmen sind (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, 11. Senat, Beschluss vom 13.09.2010 — L 11 AS 1015/10 B ER). Die Höchstgrenze beläuft sich danach auf 393,80 EUR (Höchstgrenze nach § 12 WoGG bei einem Haushaltsmitglied in der maßgeblichen Mietenstufe IV = 358,00 EUR x 110 %)."

2. Es gibt keine Pflicht der Eltern bei einem Umzug einen unter 25-jährigen Erwachsenen mitzunehmen. Die Eltern können nach der Rechtsprechung ohne weiteres das Zusammenleben mit dem Jungerwachsenen beenden. Auch gibt es keine Pflicht der unter 25-jährigen bei Beendigung des bisherigen Wohnverhältnisses mit den Eltern mitzuziehen. Das Nichtumziehenwollen stellt keinen Umzug dar.

3. Der Annahme eines Bedarfs für Kosten der Unterkunft und Heizung steht nicht entgegen, wenn vom Vermieter mit dem HB noch kein schriftlicher Mietvertrag geschlossen wurde. Zum einen bedarf der Abschluss eines Mietvertrages über Wohnraum (entgegen der Kündigung) keiner Schriftform, so dass einiges dafür spricht, dass zwischen der Vermieterin und dem Antragsteller ein Mietvertrag bereits durch konkludentes Verhalten geschlossen wurde. Im Übrigen wäre der Antragsteller aufgrund der faktischen Nutzung der Wohnung jedenfalls über bereicherungsrechtliche Vorschriften oder aber § 546 a Bürgerliches Gesetzbuch zu einer Nutzungsentschädigung in Höhe der vereinbarten Miete oder der Miete, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist, verpflichtet.


http://www.kanzleibeier.de/Urteil_beierbeier_SG_Bremen_S_18_AS_894_11_ER.php


Anmerkung : LSG Schleswig- Holstein Beschluss vom 19.03.2007, - L 11 B 13/07 AS ER -

Für den seltenen Fall des Auszugs der Eltern aus dem gemeinsamen Haushalt habe der Gesetzgeber keine Regelung getroffen. Ein Missbrauch könne zu einem anderen Ergebnis führen, sei hier jedoch nicht ersichtlich.
§ 22 Abs. 2a SGB-II ist als Sonderregelung eng auszulegen: Keine Anwendbarkeit, wenn Elternteil aus der gemeinsamen Wohnung auszieht .

Der Gesetzeswortlaut jedenfalls spricht eindeutig allein vom Umzug des jungen Erwachsenen. Und auch nach den insoweit vom Sozialgericht herangezogenen Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/688, S. 14) ging der Gesetzgeber von einem Umzug des jungen Erwachsenen aus der gemeinschaftlichen Wohnung mit den Eltern und dem erstmaligen Bezug einer Wohnung durch ihn aus. Beides trifft auf die Klägerin nicht zu. Die Auffassung der Antragsgegnerin widerspricht eindeutig dem Wortlaut der Vorschrift. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift offensichtlich eine Sonderregelung für den Leistungsbezug von Personen mit einem Alter unter 25 Jahren treffen. Sonderregelungen sind jedoch grundsätzlich eng auszulegen (vgl. etwa Berlit für § 22 Abs. 2a SGB II in: LPK-SGB II, § 22 Rz. 81).

Anmerkung : LSG Celle Beschluss vom 30.03.2007, - L 13 AS 38/07 ER -

Zur Erteilung der Zusicherung nach Paragraf 22 Abs. 2 a bei Auszug der Mutter .
Leitsatz: Eine Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, hat nach Auszug ihrer Mutter, die zuvor mit ihr allein in einer Wohnung zusammengelebt hat, auch ohne Nachweis einer konkreten neuen Unterkunft einen Anspruch auf Erteilung der Zusicherung nach § 22 Absatz 2 a SGBII .

Anmerkung : LSG Thueringen Beschluss vom 06.02.2007, - L 7 B 69/06 AS -

§ 22 Abs. 2 a SGB II wurde eingeführt, weil Ursache hoher Kosten u. a. der Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen war, die entweder bislang wegen Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen Anspruch hatten oder als Teil der Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen haben. Künftig sollten durch die Neuregelung Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und erstmalig eine Wohnung beziehen wollen, vorher die Zustimmung des Leistungsträgers einholen (BT Drucksache 16/688 Seite 14). Damit wollte der Gesetzgeber also vermeiden, dass ein junger Mensch, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sich von der Bedarfsgemeinschaft löst, indem er die elterliche Wohnung verlässt.

Der Begriff des Umzugs in § 22 Abs. 2 a SGB II erfasst nach oben Gesagtem jedenfalls nicht die Fälle, in denen junge Hilfebedürftige als Teil der elterlichen Bedarfsgemeinschaft mit dieser umziehen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., 2006, § 22 Rnr. 80). Liegt also kein Umzug im Sinne von § 22 Abs. 2 a SGB II vor, wenn die Bedarfsgemeinschaft anlässlich einer Kündigung ihrer Wohnung umzieht und eine neue, gemeinsame Wohnung nimmt, so kann nichts anderes gelten, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, der unter 25 Jahre ist, in einem solchen Fall eine eigene Wohnung nimmt. Denn § 22 Abs. 2 a SGB II verhindert lediglich den Auszug aus der Wohnung der Bedarfsgemeinschaft, soll also eine schon bestehende Lebenssituation aufrechterhalten, verpflichtet nach seinem Wortlaut den unter 25-Jährigen aber nicht, bei Umzug des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, zu diesem zu ziehen, um die Bedarfsgemeinschaft an dem neuen Wohnort, fortzusetzen, aufrecht zu erhalten oder zu begründen.

Danach genießen alle Deutschen im Bundesgebiet Freizügigkeit, d. h. die Möglichkeit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Dieses Recht darf nach Art. 11 Abs. 2 GG nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Eine solche Einschränkung beinhaltet das Gesetz lediglich bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen man die Bedarfsgemeinschaft verlassen kann, nicht aber, wo die Bedarfsgemeinschaft begründet werden muss .

Anmerkung : LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 26.11.2010 - L 5 AS 1880/10 B ER-

Unter 26-Jähriger kann auf Wohnung seiner Eltern verwiesen werden

Ein Hilfebedürftiger, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, muss eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2a Satz 1 SGB II auch dann einholen, wenn der Wohnungswechsel nicht mit dem erstmaligen Bezug einer eigenen Wohnung verbunden ist(a. A. LSG Berlin Brandenburg Beschluss v. 15. Februar 2010, L 25 AS 35/10 B ER; ebenso Berlit in LPK-SGB II, 3. Auflage, Baden-Baden 2009, Rdnr. 89 zu § 22; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, Kommentar, München Stand 1. April 2010, Rdnr. 80 zu § 22 SGB II).
Dass ein Hilfebedürftiger, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht mehr im Elternhaus lebt, stellt für sich genommen keinen sonstigen, ähnlich schwerwiegenden Grund iSd § 22 Abs. 2a Satz 2 Nr. 3 SGB II dar; sind die Eltern zur Aufnahme ihres Kindes bereit und steht im elterlichen Haushalt ausreichender Wohnraum zur Verfügung, so kann der hilfebedürftige junge Erwachsene auf den bei seinen Eltern zur Verfügung stehenden Wohnraum verwiesen werden.

Anmerkung : Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.12.2010 , - L 7 AS 1681/10 B -

Gewährung von PKH für die ungeklärte Rechtsfrage , ob die Auffassung der Antragsgegnerin, § 22 Abs. 2a SGB II sei auch auf Folgeumzüge anzuwenden, zutreffend ist, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt (für ein Anwendung nur beim Erstbezug: Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.09.2009, L 3 AS 188/08, Rn. 39; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 80b; Berlit in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 22 Rn. 89; anderer Auffassung Piepenstock, jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 Rn. 104).

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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